08.07.2015

Ronald Beschow arbeitet seit über vierzig Jahren im Bergbau. Genauso lange setzt er sich insbesondere im ehrenamtlichen Bereich für den Vogelschutz ein. Über 200 verschiedene Arten beherbergt die Region rund um den Tagebau Welzow-Süd. Die Artenvielfalt zu erhalten und auszubauen, ist eine Herzensangelegenheit des Lausitzers. Warum, versteht man bei einem Ausflug ins Revier.

 

Ronald Beschow in seinem Revier, Foto: LEAG

Wir fahren mit dem Jeep in Richtung Tagebau. Weit und offen liegt die Tagebaulandschaft vor uns. In der Ferne zeichnet sich die F60-Förderbrücke ab, die weltweit größte bewegliche Maschinenkonstruktion. Sie legt die Braunkohle frei. Davor platziert und eine Etage höher, arbeitet der Vorschnittbagger der seine gewonnenen Abraummassen auf eine kilometerlange Bandanlage aufgibt, die die Massen zu einem Absetzer transportiert. Unmittelbar hinter den gigantischen Tagebaugeräten erstreckt sich die grüne Bergbaufolgelandschaft.

Die Weite des Blickes ist für meine Stadtmenschenaugen ungewohnt, tut aber gut. Ronald Beschow hält den Wagen an und lässt das Fenster herunter. Es zirpt und tiriliert. Sie sind da. Die Vögel des Tagebaus.

Lebensraum für Lerche, Otolan und Co.

Blick in die Rekultivierungslandschaft im Tagebau Welzow, Foto: LEAG

„Das ist die Feldlerche. Schauen Sie, da sitzt sie“, Beschow ist seit über 40 Jahren Hobby-Ornithologe. Beruflich arbeitet er im Bereich Rekultivierung und Naturschutzmanagement für alle Vattenfall Tagebaue. Er ist beteiligt an der Planung und Erstellung von Anträgen für Betriebspläne und Braunkohlenpläne. So bringt er unter anderem die Bergbaufolgelandschaft in ihren Grundzügen zu Papier und führt die im Bergbau geforderten Flächenbilanzen für die Tagebaue und Depots. Um den Überblick über die umfangreichen Sachdaten zu den Rekultivierungsflächen zu behalten, pflegt er eine Rekultivierungsdatenbank.

Findlingshaufen, wichtiges Strukturelement in landwirtschaftlichen Nutzflächen, ist unter anderem Brutplatz für Steinschmätzer, hier Singwarte für die Grauammer, Foto: LEAG

Ich schaue angestrengt ins Grüne. Es dauert einen Augenblick, bis ich den kleinen braunen jubilierenden Vogel gefunden habe. „Die Feldlerche ist eine der Pionierarten, also einer der ersten Vögel die da sind, wenn die Flächen in die Rekultivierung gehen.“ Genau wie Steinschmätzer, Brachpieper, Flussregenpfeifer und Kiebitz. Sie alle lieben das offene Feld. Und sie alle sind selten geworden in der normalen Kulturlandschaft.

„Gute Lebensraumbedingungen wie hier im Tagebau finden sie nur noch selten. Früher am ehesten noch auf den Truppenübungsplätzen, die allerdings durch Aufgabe der Nutzung auch immer weniger spezielle Lebensräume bieten.“

40 Jahre Leidenschaft

Hilfreich bei der Zuordnung/Erläuterung des Gesehenen, vor allem für den Besucher: Ein Vogelbestimmungsbuch, Foto: LEAG

Beschow ist in sein Hobby hineingewachsen. Schon als Kind faszinierten ihn Vögel. In der damaligen DDR wie auch heute kein weit verbreitetes Interesse. Doch Beschow hatte Glück: „Während meiner Lehre traf ich jemanden, der das von der Pike auf in einer Fachgruppe Ornithologie gelernt hatte.“ Eine Weichenstellung.

In den nächsten 40 Jahren engagiert er sich kontinuierlich für den Vogelschutz. Der Ornithologe begibt sich regelmäßig in seinem Heimatrevier an der Spremberger Talsperre auf Erkundungstour und trägt seine Sichtungen in die Erfassungslisten, engagiert sich nach der Wende beim NABU und übernimmt in Cottbus eine Fachgruppe Ornithologie des Naturwissenschaftlichen Vereins der Niederlausitz.

Auch heute auf der Fahrt trägt er alle gehörten und gesichteten Vögel in seine Kladde ein. Später überträgt er die Daten auf www.ornitho.de . Dieses Erfassungstool zeigt, wo welche Arten regional vorkommen. Dies wäre ohne die vielen Ehrenamtlichen wie Beschow in dieser Tiefe und Vielfalt unmöglich.

Strukturwandel-Beobachtungen

Neben der Talsperre Spremberg beobachtet Beschow Teile der Rekultivierungsflächen im Tagebau Welzow Süd. Hier reizt es ihn, die Dynamik der Wiederbesiedlung von Tagebauflächen zu dokumentieren, die Entwicklungen und Veränderungen im Artenspektrum zu erforschen. Seit 20 Jahren begleitet er den Wandel der Landschaft und beobachtet mit ihm die verschiedenen Vogelarten, die hier wieder heimisch werden. „Ich wusste durch meine Arbeit, wie sich der Tagebau entwickeln wird und habe mir entsprechende Gebiete für meine Untersuchungen ausgewählt. Das war für mich die Chance, einige Flächen von Beginn der Rekultivierung bis zur heutigen Entwicklungsstufe zu begleiten. Da sind ganz interessante Ergebnisse herausgekommen.“

In der Brutzeit der Vögel steht Beschow mehrmals in der Woche morgens gegen vier Uhr auf und fährt raus. In der Morgendämmerung lassen sich die Vögel am besten beobachten. Zum Frühstück ist Beschow wieder zurück, am Wochenende auch mal mit Brötchen. Die Balance zwischen Familie, Beruf und Hobby zu finden, ist eine ständige Aufgabe mit dem Fokus auf straffes Zeitmanagement. „Ich habe immer das Problem, dass ich zu wenig Zeit habe“, seufzt der Lausitzer.

Optimale Voraussetzung für Artenvielfalt

 

 Am Tagebaurand von Welzow-Süd leben zwei Seeadlerpaare, hier ein Jungvogel auf einem Grenzpfahl inmitten junger Rekultivierungsflächen, Foto: LEAG

Und so eilt er auch heute gleich weiter. Wir fahren entlang künftiger landwirtschaftlicher Nutzflächen. Ich sehe verschiedene Greifvögel, die auf den kürzlich gemähten Luzerne-Gras-Flächen Nahrung suchen: Rohr- und Wiesenweihen, Rot- und Schwarzmilane und sogar ein Seeadler. „Hier am Tagebaurand von Welzow-Süd gibt es zwei Paare des Brandenburger Wappenvogels.“

Es geht weiter. Hinauf auf den Wolkenberg. Der 160 Meter hohe Berg hat im Süden einen Weinhang. Im Platteaubereich und auf der Ostseite dienen forstliche Renaturierungsflächen als Fördergebiete für den Natur- und Artenschutz. Bewaldete Nord- und Westhänge ergänzen das Bild. „Die weiten Flächen bieten optimale Voraussetzungen für viele Vogelarten. Wenn wir in der landwirtschaftlichen Rekultivierung zielgerichtet Strukturelemente wie Flurgehölzstreifen und temporäre Feuchtbiotope schaffen, nehmen dies die Tiere gern an und das Gebiet wird noch attraktiver für sie.“

Auf dem Bergbaufolgeland entstehen viele neue, artenspezifische Lebensräume, die helfen, dass gesamte Tierleben und den Pflanzenreichtum der Lausitz zu erhalten. Und dieser ist vielfältig, nicht nur bei den Vögeln. Ackerwildkräuter und zahlreiche Blühpflanzen bewirken gleichsam einen Insektenreichtum, der wiederum den Vögeln eine ausreichende Nahrungsbasis bietet um ihre Jungen aufzuziehen.

Seltene Arten locken Besucher

Heimisch im Revier: der Brachpieper, Foto: LEAG

Immer wieder weist Beschow mich auf unterschiedliche „akustische Signale“ hin, wie den markanten Ruf der Wachteln, dem sogenannten „Wachtelschlag“.

Europas kleinster Hühnervogel ist allerdings im Dickicht der Luzerne nicht auszumachen. Oder es ertönt das Trillern der Grauammer. Diese Tiere lieben das offene Feld und sind mit einiger Übung leicht zu entdecken.

In Welzow-Süd werden auch viele Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung vorbereitet. Dazu bedarf es einer mehrjährigen Bewirtschaftung mit unterschiedlichen Kulturpflanzen. Ein optimaler Lebensraum für sogenannte Offenlandvögel. „Sie ziehen häufig mit der Tagebaurekultivierung mit.“ In den jungen Waldflächen übernehmen dann andere Vogelarten das Zepter und erobern die entstehenden Lebensräume „Nach sieben bis acht Jahren kommen die ersten Waldvögel wie Pirol, Amsel, Singdrossel und Rotkelchen.“

Auch die Grauammer fühlt sich hier wohl, Foto: LEAG

Mehr als 200 Vogelarten sind im Revier Welzow-Süd nachgewiesen, darunter immerhin 91 Brutvögel. Einige Arten leben ganzjährig hier, einige verbringen lediglich die Brutzeit im Gebiet und andere ziehen nur durch. „Letztes Jahr rastete hier Anfang August eine Steppenweihe. Ab Mitte August bis Ende September kamen dann mehrere Vögel hinzu, ein Novum bis dato in Deutschland. Auf ihrer „Durchreise“ von Russland/Kasachstan nach Afrika entdeckten die Vögel die nahrungsreichen Flächen im Tagebau und blieben ein paar Tage. Sie wechselten sogar einige Schwungfedern und setzen erst danach ihre Reise ins Winterquartier fort. Die Steppenweihe ist ein sehr seltener Durchzügler und hier normalerweise nicht anzutreffen. Da war hier richtig ‚Orni-Tourismus‘ festzustellen.“

Lehrpfad zeigt Besonderheiten

Die Schilder des ornithologischen Lehrpfads führen durch die Rekultivierungslandschaft, Foto: LEAG

Wer die Vögel des Reviers kennenlernen möchte, kann dies auch auf eigene Faust tun: Seit August 2014 lädt ein ornithologischer Lehrpfad ein, die Besonderheiten der Vogelwelt in den Rekultivierungsflächen im Tagebau Welzow-Süd zu erkunden. Auf einer Strecke von 25 Kilometern, zwischen dem Reiterhof Wuttke und dem Wolkenberg, zeigen acht Tafeln die neuen Bewohner der Fläche und erklären interessante Details zu diesen Pionieren der sich wieder entwickelnden Landschaft.

Findlinge mit einem vom Steinmetz eingravierten Wiedehopf weisen den Weg. Allerdings muss man schon viel Glück haben, diesen Vogel auch in natura zu sehen. „Ich hätte eher einen häufiger anzutreffenden Vogel gewählt“, meint Beschow. Doch wie es der Zufall will, ertönt gerade der Ruf des Wiedehopfs. Auf einem Baumpfahl in einigen Metern Entfernung sitzt ein Exemplar. Mit dem Fernrohr ist der Vogel gut zu sehen. Doch ich erkenne hier ganz klar die Grenzen meines Fotoapparates. Wer Vögel fotografieren will, sollte auf jeden Fall viel Zeit und Geduld mitbringen und ein sehr, sehr gutes Tele einpacken. Da weder das eine noch das andere heute zur Verfügung steht, müssen die Aufnahmen hinten anstehen. Macht nichts.

Hoffnung für viele Arten

Wegweiser: Der in Stein gemeißelte Wiedehopf begleitet die Wanderer auf den 25 Kilometern des Lehrpfads, Foto: LEAG 

Ich genieße den Vormittag und staune und lerne: Zum Beispiel wusste ich nicht, dass es Ortolane gibt. Dieser Vogel aus der Familie der Ammern singt sogar einen eigenen Dialekt in der Lausitzer Region. „Ortolane entwickeln je nach Region in der sie siedeln eigene Gesänge. Also Dialekte. Den Lausitzer Dialekt gibt es nirgendwo sonst zu hören. Wenn der Vogel in der Region aussterben würde, stirbt auch sein regional typischer Gesang aus. Dieses Szenario hat sich zum Beispiel bereits in den Niederlanden oder auch in Westfalen gezeigt.“ Für die Lausitzer Ortolane gibt es auf jeden Fall noch Hoffnung. Und wenn es nach Beschow geht, soll das auch so bleiben. Und natürlich nicht nur für sie sondern für alle heimischen Vögel. Dafür verwendet einen großen Teil seiner wertvollen Zeit.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst im Vattenfall-Blog.

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Autor

Daniela Hertzer

Meine berufliche Wiege stand in Brunsbüttel, genauer im dortigen Kernkraftwerk. Von da ging es stromaufwärts über Hamburg und Berlin in die Lausitz. Seit Beginn dieses Jahrtausends arbeite ich in der Unternehmenskommunikation: erst analog, jetzt digital. Mein Antrieb ist die Neugierde und der Spaß am Ausprobieren. Und ich bin ein großer Fan der Sesamstraße. In diesem Sinne: ... 1000 tolle Sachen, die gibt es überall zu sehen, manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen....

 

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