HKW Reuter West

Kohleausstieg für Berliner Wärmewende

Innerhalb einer Generation soll eine fossilfreie Energiegewinnung erzielt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, spielen neben Dekarbonisierung auch die Digitalisierung und Dezentralisierung bei der Umsetzung eine herausragende Rolle. Im Interview berichtet Tuomo Hatakka, Deutschlandchef von Vattenfall, was das Unternehmen dafür tut.

Über eine Wärmeerzeugung ohne Kohle und die neue Power-to-Heat-Anlage in Berlin spricht Tuomo Hatakka, Deutschlandchef von Vattenfall, im Interview.

Tuomo Hatakka, Senior Executive Vice President, Business Area Heat

Tuomo Hatakka, wie sieht Vattenfall den deutschen Markt, nachdem im vergangenen Jahr der Braunkohlenbereich verkauft wurde und auch die deutschen Kernkraftwerke außer Betrieb sind?

Tuomo Hatakka: Wir haben hier in Deutschland beinahe 3,5 Millionen Strom- und Gaskunden und 1,5 Millionen Wärmekunden. Dazu kommen die Strom- und Wärmenetze und außerdem sind wir führend bei der Erzeugung von Windstrom auf dem Meer. Deutschland ist ein sehr wichtiger Markt für Vattenfall. Wir fühlen uns sehr wohl hier.

Tätigt Vattenfall Investitionen in den deutschen Markt?

Ja, natürlich, im Endkundengeschäft mit Strom und Gas, aber auch in Fernwärme und dezentrale Wärmeversorgung. Und natürlich in erneuerbare Energien, zum Beispiel Windkraft. Wie gesagt: Deutschland ist für uns ein echter Wachstumsmarkt. Wir sind und bleiben einer der führenden Energiedienstleister in Deutschland. Auf lange Zeit.

Wie sehen Vattenfalls allgemeine Ziele für das Wärmegeschäft aus?

Wir haben europaweit etwa zwei Millionen Fernwärmekunden, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Städten wie dem schwedischen Uppsala und in den Niederlanden. Ich gehe davon aus, dass wir die Kundenzahl in Deutschland jedes Jahr um etwa 30.000 steigern können. Das zweite Thema sind dezentrale Lösungen, also Angebote für Kunden, die nicht an ein Leitungsnetz und eine zentrale Wärmeerzeugung angeschlossen sind. Auch da wollen wir richtig wachsen. Wir wollen aber auch geographisch expandieren und planen den Einstieg in den Wärmemarkt in Großbritannien. Der Wärmemarkt hat strategische Priorität für Vattenfall, weil wir dort besonders erfahren sind.

Im Berliner Bezirk Spandau baut Vattenfall drei Power-to-heat-Anlagen, die unter Einsatz von Strom Warmwasser erzeugen. Wie funktioniert das?

Wir bauen Europas größte Power-to-Heat-Anlage am Standort Reuter in der Siemensstadt. Die Leistung entspricht etwa 60.000 Wasserkochern, wie man sie von zu Hause kennt. Das Ganze kostet etwa 25 Millionen Euro. Wenn die Anlage fertig ist, kann 2020 das Steinkohle-Heizkraftwerk Reuter C außer Betrieb gehen. Damit machen wir Berlins Wärmeerzeugung deutlich klimafreundlicher. Die Anlage ist Teil einer größeren, umfassenderen Strategie.

Und wie lautet die Strategie Vattenfalls?

Im Wärmemarkt wollen wir Dekarbonisierung, Digitalisierung und Dezentralisierung erreichen. Das heißt vor allem: Wir wollen eine klimaneutrale Hauptstadt bis 2050. Dazu wurde bereits wichtiger Meilenstein im Mai 2017 durch das Ende der Braunkohlenutzung zur Strom- und Wärmegewinnung erreicht. Der Verzicht auf Steinkohle bis spätestens 2030 ist der nächste logische Schritt. Danach kommen die Kraftwerke Moabit und Reuter West.

Durch welche Energieträger wird der Brennstoff Kohle ersetzt?

Teilweise mit Gas, teilweise mit Biomasse, teilweise mit Abfall-Wärme, die zum Beispiel in der Industrie oder in Müllverbrennungsanlagen entsteht und momentan noch nicht genutzt wird. Und eben auch mit Power-to-Heat. Denn es gibt immer größere Überschüsse an Strom aus erneuerbaren Energien, wenn besonders viel Wind weht und die Sonne intensiv scheint. Das nutzen wir.

Bei der Power-to-Heat-Anlage in Spandau wird Strom zur Energiegewinnung eingesetzt. Strom ist aber viel teurer als etwa Gas oder sogar Öl. Rentiert sich das?

Wir sparen die Brennstoffkosten für Kohle, Öl oder Gas. Wir verzichten auf Öl- und Gaskessel, die wir sonst für die Zeiten enorm hohen Wärmebedarfs, also wenn es sehr kalt ist, bereithalten müssen. Und wir überlegen auch, ob wir die Anlagen für die Regelenergie einsetzen können. Denn wenn man schnell und zuverlässig den Elektrizitätsbedarf der Anlage herauf- und heruntersteuern kann, dann gibt es dafür am Strommarkt zusätzliches Geld, weil man damit die Schwankungen von anderen Kraftwerken im europaweiten Netz ausgleichen kann. Teil der Rechnung ist aber auch: Wir sammeln wichtige Erfahrungen, wir lernen. Die Anlage ist zudem vergleichsweise günstig. 400 bis 500 Betriebsstunden pro Jahr reichen aus, um in die schwarzen Zahlen zu kommen.

Dann rechnet sich eine Power-to-Heat-Anlage nur, wenn es besonders kalt ist und die Strompreise niedrig sind?

Power-to-Heat ist kein Wundermittel, weil es eben noch recht selten eingesetzt wird, sondern eine Lösung unter mehreren. Die Politik hat darauf aber Einfluss, wie wichtig Power-to-Heat wird. Wir zahlen jede Menge Abgaben für den Strom, den wir in der Anlage einsetzen. Nur, wenn sich das ändert, werden die Anlagen richtig lohnend. Dann werden wir weitere bauen.

Welche Abgaben muss Vattenfall für den Einsatz von Strom in Power-to-Heat-Anlagen zahlen?

Wir müssen zum Beispiel die Umlage bezahlen, die in den Betrieb von Ökostrom-Kraftwerken fließt, die sogenannte EEG-Umlage. Das sollte die neue Bundesregierung ändern, denn mit Anlagen wie am Standort Reuter helfen wir ja, das Stromnetz stabiler zu machen. Die Wärmewende muss aber auch an anderer Stelle in Gang kommen. Die Gefahr, dass das deutsche Klimaziel 2020 verpasst wird, ist auch deshalb so hoch, weil es im Wärmebereich kaum Fortschritte gibt.

Warum gibt es im Wärmebereich kaum Fortschritte? 

Fernwärme, die besonders effizient und umweltfreundlich ist, hat nur einen Anteil von 15 Prozent, in Berlin immerhin 30 Prozent. Es kann viel mehr sein, gerade in den Großstädten. Und auch bei den dezentralen Lösungen wurde bisher nicht darauf geachtet, dass deren Umweltverträglichkeit hoch ist. Fast 30 Prozent heizen noch mit Öl, der Einbau einer neuen Ölheizung wird sogar staatlich gefördert. Das ist mit Blick aufs Klima totaler Unsinn. Da gibt es also dringenden Handlungsbedarf für die neue Bundesregierung. Denn so kann es nichts werden mit der Energiewende. Digitalisierung leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Wärmewende. Wir ersetzen alle 19.000 Wärmezähler in Berlin mit digitalen, steuerbaren Zähler. In den kommenden zwei Jahren. Und das ohne staatliches Förderprogramm.

Warum ersetzt Vattenfall alle Wärmezähler in Berlin auch ohne staatliche Förderung?

Weil wir damit unsere Wärmeerzeugung optimieren können. Wir können damit jederzeit sehen, wer wie viel Wärme nutzt. Damit können wir die Reserven im System reduzieren, die Sicherheitsmarge sinkt. Das spart richtig Brennstoff und CO2 ein. Und natürlich wird der Service effizienter und für alle bequemer, niemand muss mehr zum Ablesen kommen. Das spart viel Geld.

Deutschland hat sich das Klimaziel gesetzt, bis 2020 die Treibhausgase um 40 Prozent zu reduzieren. Dieses Ziel scheint nun verfehlt zu werden. Ist es ratsam, zwei Jahre vorher radikale Maßnahmen umzusetzen?

Es ist immer wichtig, Aktionismus zu vermeiden. Es gibt schließlich neben dem Ziel des Umweltschutzes auch die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit, die erhalten bleiben müssen. Wir sollten uns also statt auf 2020 auf das Jahr 2030 konzentrieren und das Ziel von 55 Prozent Emissionsreduktion vernünftig und mit Entschlossenheit angehen. Ich bevorzuge dafür eine Marktlösung. Sprich: Klimaschädliche Emissionen müssen einfach teurer werden. Am besten wäre es, wenn der europäische Emissionshandel in Gang kommt und mit hohen CO2-Preisen die Richtung vorgibt. Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger.

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